Corona-Pandemie: Sie trifft die Kultur- und Kreativwirtschaft in drei Wellen

Gemeinsame Mitteilung des Bundesverbands Kreative Deutschland und des Netzwerks der öffentlichen Fördereinrichtungen für die Kultur- und Kreativwirtschaft in Deutschland (PCI – Promoting Creative Industries) vom 8. April 2020

Umfrage Auswertung
Auswertung einer Umfrage | Quelle: Pexels

Über 6.600 Kultur- und Kreativschaffende haben sich im Zeitraum 09.03. bis 31.03.2020 an einer deutschlandweiten Befragung zu den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf ihre selbständige Tätigkeit beteiligt.

Wirtschaftliche Auswirkungen in drei Wellen

Aus den Antworten der Befragten ergibt sich ein breites Bild der wirtschaftlichen Betroffenheit Soloselbständiger und Kleinst- und Kleinunternehmen in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Auf der Grundlage der Antworten können die Auswirkungen in drei Wellen beschrieben werden. Schon jetzt ist klar: die Corona-Pandemie wird weitreichende und langfristige wirtschaftliche Auswirkungen auf die Kultur- und Kreativwirtschaft haben, die über die Wirtschafts- und Finanzkrise hinausgehen.

Erste Welle

Zehntausende Kultur- und Kreativschaffende haben mit der Ausbreitung der Corona-Pandemie ihre unmittelbaren Einkommensmöglichkeiten verloren. In manchen Unternehmen wird sich der akute Liquiditätsengpass erst im Laufe der nächsten Wochen bemerkbar machen, da teilweise noch Zahlungen aus bereits erbrachten Leistungen eingehen. Besonders erschwerend kommt hinzu, dass ein Großteil der jetzigen Umsatzverluste nicht durch nachholendes Geschäft kompensiert werden kann. Kultur- und Kreativschaffende erwirtschaften nur selten über das Jahr gleichmäßig verteilte Umsätze. 

Das führt dazu, dass Soloselbständige und Unternehmen z.T. bereits jetzt über die Hälfte ihres erwarteten Jahresumsatzes verloren haben. Für Selbständige mit keinen oder nur geringen Rücklagen sind bereits Umsatzeinbußen im niedrigen zweistelligen Prozentbereich existenzbedrohend. Betroffen ist nicht nur die nationale Geschäftstätigkeit sondern durch das globale Ausmaß der Corona-Pandemie auch alle außenwirtschaftlichen Aktivitäten.

 Laufende Kundenprojekte werden durch Auftraggeber ausgesetzt und können nicht abgewickelt werden. Kunden legen (sogar bereits abgeschlossene) Projekte zugunsten der eigenen Liquidität auf Eis, so dass keine Weiterarbeit oder Abnahme und damit Rechnungslegung erfolgen kann. Die Auftragsakquise ist für viele zum Erliegen gekommen, da wichtige Plattformen wie Festivals und Messen nicht stattfinden. Das analoge und digitale Anzeigengeschäft verzeichnet empfindliche Einbußen. Die zahlreichen Online-Angebote mit Livestreams bringen kurzfristig (neue) Sichtbarkeit für kultur- und kreativwirtschaftliches Schaffen. In den wenigsten Fällen führen sie jedoch zu einer Monetarisierung der neuen Formate und Angebote, so dass auch hierüber keine ausreichende Kostendeckung herbeigeführt werden kann.

Zweite Welle

Im Unterschied beispielsweise zum Einzelhandel, Tourismus und der Gastronomie wird sich die Auftragslage in der Kultur- und Kreativwirtschaft nach Aufhebung der Allgemeinverfügung nicht kurzfristig verbessern, da Veranstaltungen Vorlaufzeit bedürfen und nicht mit einer schnellen gesamtwirtschaftlichen Erholung zu rechnen ist. In einer zweiten Welle verstärkt sich somit der “Wirtschafts- und Finanzkriseneffekt”. Unternehmen aus Auftraggeberbranchen werden Marketingbudgets zugunsten der eigenen Konsolidierung kürzen – mit weitreichenden Folgen für viele kultur- und kreativwirtschaftliche Teilmärkte. 

Bereits jetzt werden insbesondere Großevents bis in den Juni hinein ersatzlos abgesagt. Die Beobachtung, dass in England sogar bereits viele Sommerfestivals abgesagt werden, lässt auch für die hiesige Openair Saison momentan Ungutes erahnen. Darüber hinaus werden selbst für Herbst geplante Großevents mit langen Planungszeiten und hohem wirtschaftlichem Risiko der Veranstalter unter anderem mit Verweis auf die Angst vor einen zweiten Ausbruchswelle abgesagt – auch dies mit weitreichenden wirtschaftlichen Konsequenzen für Dienstleister aus kultur- und kreativwirtschaftlichen Teilmärkten. 

Im Bereich (Live-) Events und Kulturproduktion bahnt sich enorm hoher Druck im Markt an. Befragte rechnen damit, dass es keinen Platz mehr für (regionale) NachwuchskünstlerInnen geben wird, da die Veranstalter auf möglichst hohe Auslastung mit etablierten KünstlerInnen setzen werden, um Verluste aus dem Frühjahr zu kompensieren. Bereits jetzt gibt es kaum noch freie Veranstaltungsslots im Herbst. Es gibt große Unsicherheit darüber, wie sich das Publikum nach Ende der Allgemeinverfügungen verhalten wird. Dies betrifft (1) grundsätzlich die Bereitschaft zum Besuch von Veranstaltungen und (2) die Bereitschaft zum Besuch von Veranstaltungen in kurzen Zeitabständen, da “neue” Veranstaltungen dann mit verschobenen Veranstaltungen konkurrieren. Es ist unsicher, ob in dieser Hinsicht überhaupt ein “nachholendes” Geschäft möglich ist.

Da so viele Menschen wirtschaftlich betroffen sind, ist auch die Frage der Bereitschaft von Ausgaben für künstlerische und kreativwirtschaftliche Leistungen wie im bisherigen Umfang offen. Es ist offen, ob es gelingt, aus den neuen digitalen Formaten nachhaltig auch neue Erlösstrukturen zusätzlich zur Rechteverwertung aufzubauen.

Dritte Welle

Die nachgelagerten Umsatzeinbußen aus der Verwertung von Rechten schlagen finanziell2021 zu Buche und  werden sich voraussichtlich sogar bis 2022 auswirken. In der Kultur- und Kreativwirtschaft bahnt sich ein enormer Investitionsstau an. Gewinne werden, wie in wohl keiner anderen Branche, in neue Produkte und Leistungen reinvestiert. Durch die massiven Umsatzverluste ist bereits jetzt absehbar, dass Gelder für Investitionen 2021 fehlen werden, wenn Einnahmen aus Aufträgen und Rechteverwertung ausbleiben.

Durch die Folgewirkungen für die kulturelle Produktion insgesamt ergeben sich auch negative Effekte für den Aufbau von NachwuchskünstlerInnen. Auch im Mittelstand bahnt sich ein Investitionsstau an. Die Auftragslage wird sich analog zur gesamtwirtschaftlichen Rezession negativ entwickeln und betrifft durch die enge wirtschaftliche Verflechtung der Teilmärkte untereinander die gesamte Kultur- und Kreativwirtschaft. Dieser Trend wird sich durch die positiven Entwicklungen durch Investitionen im Bereich Digitalisierung nicht ausgleichen lassen.

Maßnahmen zur Bewältigung der Krise

Für die meisten Befragten sind direkte Zuschüsse ein wichtiges Instrument, um die teilweise gravierenden Umsatzeinbußen kompensieren zu können. Aber auch die Aussetzung laufender Zahlungsverpflichtungen und niedrigschwellige Darlehen werden als wirkungsvolle Soforthilfen genannt. Das Kurzarbeitergeld wird nur von wenigen als wirkungsvolle Maßnahme angegeben, was in erster Linie auf den hohen Anteil Soloselbständigerzurückzuführen ist, die sich an der Umfrage beteiligten. 

Durch die zu erwartenden langfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Kultur- und Kreativwirtschaft ist für sehr viele Befragte ein Konjunkturpaket wichtig, das gezielt die kulturelle Produktion und die Nachfrage nach Leistungen aus der Kultur- und Kreativwirtschaft ankurbelt. Dabei wird auch die Berücksichtigung kultur- und kreativwirtschaftlicher Produkten und Leistungen und deren faire Vergütung bei Vergabeprozessen durch die öffentliche Hand genannt.

Für eine Reihe von Befragten stellt ein bedingungsloses Grundeinkommen eine wirksame Maßnahme zur Bewältigung der Krise dar. Die Bundesregierung sowie die Länder und einzelne Kommunen haben bereits umfangreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht, um die mit den Allgemeinverordnungen verbundenen, weitreichenden Konsequenzen für die wirtschaftliche Aktivität abzumildern. Die derzeitigen Maßnahmen konzentrieren sich darauf, durch die Mischung aus Grundsicherung, Zuschüssen und Krediten wirtschaftliche Existenzen zu sichern. Zum Teil werden auch teilmarktspezifische Maßnahmen auf den Weg gebracht, darunter für die Film- und Medienbranche. Jenseits der staatlichen Unterstützungsleistungen gibt es aus dem Kreis der Verwertungsgesellschaften und der Fachverbände Maßnahmen und Initiativen mit Erleichterungen und Sonderzahlungen.

Initiativen aus der Branche für die Branche

Das Online Pad von Kreative Deutschland sammelt nicht nur Soforthilfen des Bundes und der Länder für die Kultur- und Kreativwirtschaft, sondern auch Infos von Verbänden und Verwertungsgesellschaften und gibt eine Übersicht über Initiativen und Kampagnen aus der Branche für die Branche. 

Hinweise zur Befragung

An der Befragung nahmen 6.647 Selbständige aus dem gesamten Bundesgebiet im Zeitraum 09.-31.03.2020 teil, die sich der Kultur- und Kreativwirtschaft zuordnen. Der Link zum Onlinefragebogen wurden einem breiten Netzwerk aus Förderinstitutionen und Verbänden zur Verfügung gestellt und über deren digitale Kommunikationskanäle geteilt. Die Ergebnisse der Befragung lassen zwar keine direkten Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Lage mittlerer und großer Unternehmen in der Kultur- und Kreativwirtschaft dazu. Aus der Marktbetrachtung der Netzwerke und den verfügbaren Informationen der Fachverbände ist aber bereits jetzt klar, dass Unternehmen aller Größenklassen von den wirtschaftlichen Auswirkungen betroffen sind bzw. dies sein werden.

Die komplette Auswertung der Befragung mit weiteren Informationen finden Sie hier.

Quelle: PCI – Promoting Creative Industries

Mehr Infos:

Auswerung der Befragung

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