Klimakrise als Chance zur digitalen Transformation

Die Initiative Creatables bringt Gamesentwickler*innen, UX-Expert*innen, Design Thinker*innen, Start-ups und Hochschulen mit KMU zusammen, um gemeinsam digitale Lösungen für nachhaltige Innovationen zu erfinden. Interview mit dem Mitinitiator Prof. Dr. Steffen P. Walz

Prof. Dr. Steffen Walz Interview Partner
Creatables Vordenker Prof. Dr. Steffen P. Walz | Quelle: MFG / Steffen Walz

Was hat sich mit den kraftvollen Bewegungen wie den Klimastreiks im letzten Jahr und den jetzt aktuellen Entwicklungen im globalen Gespräch verändert und welche Auswirkungen hat das auf die Gamesbranche?

Steffen P. Walz:

Man kann beispielsweise feststellen, dass Spiele, die in der Vergangenheit ausschließlich als so genannte „Serious Games“ oder „Games for Impact“ betrachtet und daher möglicherweise als zu akademisch eingestuft worden wären oder nur eine Nische bedient hätten, jetzt von weltweiten Verlagen mit einer ziemlichen Reichweite herausgegeben werden – und zwar als Games, ohne Anführungszeichen

Ein Beispiel ist „Endling“, das in diesem Jahr erscheinen soll – ein umweltbewusstes Überlebensabenteuer über die letzte Füchsin auf der Erde und ihre Jungen. Nachhaltigkeitsbewusste und -aktive Menschen, so können wir an diesem Beispiel ablesen, entwickeln Games. Und es wird auch viele Gamer*innen geben, die solche Games spielen wollen und werden. Für diejenigen, die noch nicht empfänglich sind für Games, kann ein solches Spiel ein Grund dafür sein, sich für das Medium zu begeistern. Nachhaltigkeitsentwicklungsziele und die Klimakrise haben also begonnen, einen eigenen Markt zu formen.

Tatsächlich können wir bei vergleichsweise vielen Nicht-Game-Märkten wie Finance, Mobilität und auch Konsumgütern beobachten, wie Produkte und Dienstleistungen in Bezug auf Nachhaltigkeit zunehmend hinter- und auch nachgefragt werden. Ein weiterer Aspekt dieses Wandels ist, dass die Themen und Werte, die Spiele ausdrücken und erforschen, sich weiterentwickeln und auch Spiele als Medium sich fortentwickeln. Die Indiedeveloper haben, wie das Game „Endling“ zeigt, definitiv Nachhaltigkeitssettings für sich entdeckt. Daher habe ich keinen Zweifel daran, dass wir noch viele weitere Spiele sehen werden. Kleine und große, die klima- und nachhaltigkeitsbezogene, das heißt zutiefst menschliche – soziale, kulturelle und ökologische – Themen verhandeln werden. Daneben sind viele andere digitale Denker- und kreative Entwickler*innen aus dem Bereich User Experience sehr an Möglichkeiten interessiert, auf spielerische Weise mit den je eigenen Methoden Nachhaltigkeit in vorhandenen und für zukünftige Produkte und Services einzubeziehen.

Was ich im vergangenen Jahr aus ebensolchen Gesprächen mit Spieleentwickler*innen, Designer*innen und Geschäftspartner*innen gelernt habe und was ich selbst empfinde, ist die Dringlichkeit und die Notwendigkeit zu handeln. Also die Klimakrise sowie andere Ziele der nachhaltigen Entwicklung nicht nur als Bedrohung, sondern auch als eine immense Chance zur digitalen Transformation und Innovation zu betrachten.

Eine immer wiederkehrende Frage, die in diesen Gesprächen aufgetaucht war, lautete: Wie kann ich als Designer*in, Entwickler*in, Unternehmer*in, Forscher*in, Verleger*in, Hardware-Hersteller*in und Verbraucher*in einen Wandel herbeiführen und aktiv zu sozialen und ökologischen Entwicklungszielen der Nachhaltigkeit beitragen?  Eine Antwort für mich persönlich war, die Bewegung Creatables  gemeinsam mit Dr. Angela Frank von der MFG Baden-Württemberg, den Games-Branchenexperten Sven Schmidt und Prof. Sebastian Stamm sowie den User Experience-Expert*innen Phillip Rigley und Frieda Preuß zu initiieren. Unser Ziel: digitale Kreative mit unterschiedlichem Hintergrund miteinander und mit Unternehmen und Organisationen zusammenbringen, um Nachhaltigkeitsziele, ganz pragmatisch, durch kreatives Design und digitale Denke anzugehen. Eine ähnliche Initiative ist übrigens „Playing4theplanet“, die vom Umweltprogramm der Vereinten Nationen unterstützt wird – wiewohl es dort zentral um Games geht. In diesem Zusammenhang hat die UNO kürzlich „Mission 1.5“ veröffentlicht, das nicht nur ein Spiel, sondern eine Kampagne darstellt, in deren Rahmen unter anderem Werbung in weiteren Videospielen zum Einsatz kommt; ein weiteres Beispiel dafür, wie die Industrie reagiert. Diese Initiativen sind wichtig, aber ich glaube, dass wir noch so viel mehr tun könnten: Beispielsweise Dienstleistungen und Produkte außerhalb des Spielbereichs bedenken und mit diesen Bereichen zusammenarbeiten, um das Publikum zu motivieren und zu begeistern, um Verhaltensänderungen anzuregen. Oder wir können uns als kreative Kraft ins Spiel bringen, um wirkungsvolle Geschäftsmodelle mit sozialem oder ökologischem Impetus zu entwerfen, wie dies mit „Models of Impact“ möglich ist, einem Methodenspiel des Designstrategen Matthew Manos. Bei „Models of Impact“ kann man nachhaltige und gleichzeitig einträgliche Geschäftsmodelle erfinden und ausbuchstabieren. Jede, jeder von uns kann sich so fragen: Wie kann ich mit meinem Fachwissen, meiner Kunst, meinem Design und meinem Coding positive Auswirkungen erzielen – und dann damit aktiv werden?

Was erwartet uns beim neuen Format der Creatables-Konferenz?

Steffen P. Walz:

Mit dem Creatables-Format wollen wir Gamesentwickler*innen, UX-Expert*innen, Design Thinker*innen, Start-ups und Hochschulen mit Vertreter*innen von kleinen und mittleren Unternehmen zusammenbringen, um gemeinsam digitale Lösungen für nachhaltige Innovationen zu erfinden. Dabei sollen motivierende Gamesmechaniken sowie Designmethoden eine zentrale Rolle spielen, um Produkte und Dienstleistungen im Sinne der 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu entwickeln. Neben inspirierenden Keynotes und weiteren Vorträgen wird es Panels zum Thema Digital Sustainability geben und spielerische Workshops, bei denen wir uns gemeinsam mit KMU in interdisziplinären Teams nachhaltige Lösungen ausdenken und diese auch im Nachgang weiter entwickeln wollen. Insbesondere letzterer Punkt ist uns sehr wichtig und wir wollen dabei auch zu Förderinstrumenten wie den Innovationsgutscheinen in Baden-Württemberg lenken. Zu guter Letzt wird ein Schwerpunkt im Kultur- und Bildungsbereich als Raum für digitale, nachhaltige Innovation liegen.  

Aufgrund der Corona-Pandemie starten wir am 17. Juni nun mit einer Online-Konferenz. Über den Sommer und Herbst werden wir weitere Formate anbieten. Am 15. Oktober findet dann die angesichtige Creatables-Konfererenz in Karlsruhe statt – in Verbindung mit der etablierten bizplay-Konferenz.   

Wir Mitorganisatoren freuen uns sehr auf diesen ersten Aufschlag am 17. Juni 2020 und die weiteren, sich anschließenden Creatables-Formate. Wir hoffen, dass diese den besonderen Geist der Creatables-Bewegung widerspiegeln werden, nämlich tatkräftig gemeinsam und miteinander, über kreative und digitale Disziplinen hinweg, die Ziele der nachhaltigen Entwicklung anzugehen. Auch und gerade die Coronavirus-Krise zeigt ja, wie wir mit digitalen Mitteln Krisen auffangen können. Auch Gesundheit und Wohlergehen sind Nachhaltigkeitsziele beziehungsweise wir sollten die Coronavirus-Pandemie auch im Kontext von Klimaerwärmung sehen – viele Länder haben nicht die Infrastruktur, wie wir sie in Deutschland haben oder die politisch-systemischen Bedingungen. Gerade hier können wir in Zukunft durch nachhaltig-digitale Ansätze unterstützen. 

Noch einige Worte zu den Inhalten der Konferenzen im Juni und Oktober: Wir werden Beiträge von Deutschlands nachhaltigster Marke, dem Hersteller von Outdoor-Ausrüstung VAUDE, sehen und erleben, wie die Marke mit den Stuttgarter Virtual und Augmented Reality-Spezialisten Lightshape und mit iFixit, den Reparaturaktivisten, zusammenarbeitet.  Wir freuen uns auch, dass wir Ruth Lemmen für die Moderation gewinnen konnten, die vielen als Mitbegründerin von Womenize! bekannt sein wird: Games and Tech, einem Aktionsprogramm zur Förderung der Vielfalt in der digitalen Industrie.

Auch international sind wir vernetzt: Unser Keynote-Sprecher im Juni wird der oben bereits erwähnte Matthew Manos aus Los Angeles sein. Er ist Designstratege, Geschäftsführer der Nachhaltigkeits-Beratung verynice, Professor für Unternehmertum und Innovation an der University of Southern California, Autor mehrerer Bücher zum Thema Impact und  Social Enterprise und eben Erfinder des fantastischen Spiels „Models of Impact“. Im Oktober wollen wir dann Maria Sayans und Helen Fuchs eine Bühne geben. Maria ist CEO von ustwo games (Assemble With Care; Monument Valley). Helen Fuchs ist Design Director bei UsTwo. Die Unternehmensgruppe ist für unser Thema von großer Relevanz: Der Games-Bereich, angeführt von Maria, hat wunderschöne und geradezu poetische interaktive Erlebnisse geschaffen, die uns unser Menschsein vor Augen führen. Das UsTwo-Produktdesign-Studio wiederum arbeitet unter anderem an Gesundheitstechnologie, indem es Spiel- und Spieldesign-Prinzipien anwendet – ein fantastisches Beispiel dafür, wie Cross-Innovation für nachhaltige Produkte eingesetzt werden kann. Das Unternehmen als Ganzes ist außerdem seit kurzem eine B-Corp, das heißt es wurde zertifiziert als ethisch und ökologisch handelndes Unternehmen. Das gab es meines Wissens bisher in der Games-Industrie nicht, und auch nur bei wenigen digitale Unternehmen. Auch hier sehen wir eine große Chance gerade für KMU, nicht zuletzt angesichts möglicher zukünftiger Regularien zum Beispiel im Bereich Klimaneutralität.

In den letzten Jahren wurde viel über die Einführung von Cloud-basierten Spielplattformen gesprochen. Halten Sie es für unverantwortlich, eine solche Energie verbrauchende Technologie zu entwickeln, wo wir doch wissen, dass das weltweite Verbrauchsniveau sinken muss?

Steffen P. Walz:

Spiele – und das Internet an sich – haben enorme Auswirkungen auf die Umwelt: Denken Sie an den kombinierten Fußabdruck, den die Herstellung und der Zusammenbau kleinster Computerteile wie Transistoren, die Ausführung von Rechenleistung mit Grafikkarten und der Betrieb hochwertiger Bildschirme verursachen, und denken Sie an den Fußabdruck, der durch die Herstellung, das Testen und den Betrieb eines Spiels entsteht.

Tatsächlich hat eine kürzlich von Forschern der UC Berkeley durchgeführte und von der California Energy Commission geförderte Studie ans Licht gebracht, dass in den USA Spieler durch Spielen mehr Haushaltsstrom verbrauchen als die Energie, die für Gefriertruhen und Waschmaschinen benötigt wird und Streaming-Spiele mehr Energie verbrauchen als das Spielen vor Ort. Also ja, von diesem Standpunkt aus gesehen, scheinen Cloud-basierte Spielplattformen nicht dazu beizutragen, das Verbrauchsniveau zu senken. Der Schwerpunkt könnte hier zum Beispiel darauf liegen, wie nachhaltig der verwendete Strom produziert wurde - handelt es sich um emissionsfreien Strom oder um Strom aus fossilen Brennstoffen? Oder wie wäre es mit einem Hauptschalter, der die Konsole, den Fernseher und die Peripheriegeräte vollständig abschaltet, wenn nicht gespielt wird? Wie wäre es mit der Herstellung von Computern, Servern und Datenzentren ähnlich wie beim Fairphone - so dass letztendlich all unsere Elektronik nachhaltig betrieben wird, aus nachhaltigen Materialien besteht, reparierbar ist und unter ethischen Bedingungen hergestellt wird? Das sind nur winzige so genannte „Moon Shots“.

Ich bin mir ziemlich sicher, dass die großen Technologiekonzerne, die Game-Streaming und Cloud Computing anbieten und die auch zugesagt haben, klimaneutral zu werden, eine Menge Geschäftsmodelle, kreatives Engineering und Design in diese Herausforderung einbringen werden. Und genau das muss geschehen. Die Coronavirus-Pandemie kann uns helfen Weichen zu stellen im Sinne der Resilienz, das heißt eine Krise als Wachstums- und Entwicklungsmöglichkeit zu begreifen. Wir erleben gerade, wie sich die digtitale Transformation beschleunigt, und das ist eine Chance, Nachhaltigkeit mitzudenken. Gesundheit und Wohlergehen zählen schließlich auch zu den Nachhaltigkeitszielen. 

 

Mehr Infos:

Creatables Bewegung

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