Deutscher Dokumentarfilmpreis 2020 am 1. Juli online verliehen

Geteilter Hauptpreis für „Lovemobil“ von Elke Margarete Lehrenkrauss und „Eine Klinik im Untergrund - The Cave“ von Feras Fayyad

„Lovemobil“ von Elke Margarete Lehrenkrauss
„Lovemobil“ von Elke Margarete Lehrenkrauss | Bild: SWR

Nicht nur die unabhängige Jury des SWR Doku Festivals hat dieses Jahr aufgrund der Ausnahmesituation durch Corona per Videokonferenz getagt - auch die Gewinner*innen wurden 2020 online gekürt. Am 1. Juli um 19 Uhr überreichte Moderator Max Moor den Deutschen Dokumentarfilmpreis in vier Kategorien an die Gewinner*innen. Der mit 20.000 Euro dotierte, vom Südwestrundfunk und der MFG Filmförderung Baden-Württemberg gestiftete Hauptpreis wird in diesem Jahr geteilt: Er geht an Elke Margarete Lehrenkrauss für „Lovemobil" und an den syrischen Dokumentarfilmer Feras Fayyad für den Film „Eine Klinik im Untergrund - The Cave". Die meisten der nominierten Filme können vom 1. bis 3. Juli online unter www.swr.de/dokufestival bundesweit kostenfrei angeschaut werden.

Filme in weiteren Kategorien

Den mit 5.000 Euro dotierten Preis der Norbert Daldrop Förderung für Kunst und Kultur erhält Ulrike Ottinger für „Paris Calligrammes". Für einen dokumentarischen Film aus dem Bereich Musik wurde Oliver Schwabe für seinen Film „Die Liebe frisst das Leben, Tobias Gruben, seine Lieder und die Erde" der mit 5.000 Euro dotierte Musikpreis der Opus GmbH verliehen. Der Film „Lost in Face" von Valentin Riedl wird mit dem Förderpreis des Hauses des Dokumentarfilms, dotiert mit 3.000 Euro, ausgezeichnet.

Lovemobil" von Elke Margarete Lehrenkrauss

Aktualisierung: Filmemacherin von „Lovemobil“ gibt Deutschen Dokumentarfilmpreis zurück. Mehr Informationen hier.

Für ihren Film kehrte die 1979 geborene Filmemacherin Elke Margarete Lehrenkrauss drei Jahre lang immer wieder in ihre niedersächsische Heimat bei Wolfsburg zurück, um Prostituierte aus aller Welt in ihren Wohnmobilen am Straßenrand aufzusuchen, ihr Vertrauen zu gewinnen, sie zu filmen. „Lovemobil" erzählt von Heimat, Vertrauen, Hoffnung und dem Abgrund eines Mikrokosmos, der Prostitution als knallhartes Endstadium eines globalisierten Kapitalismus erfahrbar macht. Die Jury: „Dieses zurückhaltende und gleichzeitig mutige Vortasten auf der visuellen und inhaltlichen Ebene ist das Vorgehen des Films, der Stück für Stück die Welt in den VW-Mobilen erschließt und die Abwege, Ansinnen und Hoffnungen einfängt, die alle Beteiligten hier hinführten: von den Frauen, den Freiern bis hin zum Dorfpfarrer, der sich mit der Betreiberin der Lovemobiles anlegt. (...) Eine Reise in eine innere und äußere Realität, wie es vielleicht nur der kreative Dokumentarfilm kann: auf Augenhöhe, mit viel Zeit und filmischer Differenziertheit, die verborgende Schichten der Wirklichkeit freilegt - ohne je zu urteilen noch zu verurteilen, so dass das Publikum Raum für eigene Gedanken und Gefühle hat. (...) Menschliches und filmisches Feingefühl zeichnen diesen Film aus."

Deutschland 2019 - 103 Minuten; Buch und Regie: Elke Margarete Lehrenkrauss; Kamera: Christoph Rohrscheidt; Montage: Elke Margarete Lehrenkrauss; Ton: Henrik Cordes, Elke Margarete Lehrenkrauss; Musik: Dascha Dauenhauer; Produktion: Elke Margarete Lehrenkrauss

Koproduktion: NDR; Filmförderung: nordmedia Film- und Mediengesellschaft Niedersachsen/Bremen mbH; Stipendium "cast&cut" der Stiftung Kulturregion Hannover

„Eine Klinik im Untergrund - The Cave" von Feras Fayyad

Der Dokumentarfilm begleitet die 30-jährige angehende Kinderärztin Dr. Amani im kriegsgeschüttelten Syrien bei ihrer täglichen Arbeit in einem verborgenen unterirdischen Feldkrankenhaus. Als Leiterin eines Teams aus Ärzten und zivilen Betreuern arbeitet sie unermüdlich daran, in Al Ghouta bei Damaskus die Opfer von Bombenangriffen und chemischer Kriegsführung mit der wichtigsten medizinischen Hilfe zu versorgen. Der syrische Filmemacher Feras Fayyad zeigt in seinem Film den täglichen Mut von Dr. Amani und ihrem Team und lässt dabei das Wesen von Menschlichkeit zutage treten. In der Jurybegründung heißt es: „Kinder mit Bombensplittern und Opfer von Chlorgasattacken - der Krieg zeigt sich hier in seiner sinnlosen Rohheit. Wenn zum Beispiel der operierende Arzt klassischer Musik während eines Eingriffs auf seinem Smartphone zuhört oder eine Krankenschwester Essen für die Belegschaft kocht, dann zeigt sich noch eine ganz andere Ebene in diesem Film. In dieser Untergrundklinik werden nicht nur Menschenleben gerettet, sondern auch die Ambivalenz des Menschseins beleuchtet. Die Schrecken des Krieges werden gezeigt, doch darüber hinaus thematisiert `The Cave` die Wahrung der Humanität in ihrer Allgemeingültigkeit. Das macht diesen Film so zutiefst berührend und intelligent, weil er uns alle miteinbezieht."

Syrien, Dänemark, Deutschland, USA und Katar 2019 - 95 Minuten; Buch: Alisar Hasan, Feras Fayyad; Regie: Feras Fayyad; Kamera: Muhammed Khair Al Shami, Ammar Suleiman, Mohammed Eyad; Montage: Per K. Kirkegaard, Denniz Göl Bertelsen; Ton: Peter Albrechtsen; Musik: Matthew Herbert; Produktion: Danish Documentary Production

Koproduktion: ma.ja.de Filmproduktions GmbH, Hecat Studio Paris, Madam Films; Zusammenarbeit mit National Geographic, SWR, TV 2; Filmförderung: DOHA, Sun Yat-Sen Cultural Foundation, International Media Support, The Danish Film Institute Development, Docs Up Fund, Normandie for Peace

„Paris Calligrammes" von Ulrike Ottinger 

5.000 Euro Preisgeld gehen an Ulrike Ottinger für ihren Film „Paris Calligrammes". Die Künstlerin erkundet in ihrem Film die Landschaft ihrer Erinnerungen an jene Stadt, die sie 20 Jahre lang ihre Heimat nannte und die ihre Anfänge als Malerin und Filmemacherin mitprägte. Sie zog in ihren Zwanzigern nach Paris und tauchte dort in die Kulturszene ein, die von Avantgarde-Helden und einer neuen Generation von Künstler*innen und Intellektuellen bevölkert war. „Paris Calligrammes" präsentiert eine entscheidende Ära sowohl in der Kunst als auch in der Politik, wo zwischen Nachkriegshoffnungen, Algerienkonflikt und 68er-Bewegung vieles auszutragen war. Trotzdem bleibt der Film eine intime Annäherung, die ein überreiches Repertoire an Filmszenen, Meldungen, Fotos und Liedern mit tagebuchartiger Sorgfalt zusammenfügt. Die Jury meint: "Der Weg von einer Malerin zur multimedial arbeitenden Kün  stlerin und Filmemacherin erscheint in dieser Rückschau als logische Konsequenz von Begegnungen mit all den Menschen, Orten und Kunstwerken, die sie in der kurzen Zeitspanne von 1962 bis 1968 in Paris erlebt, erobert und entdeckt. Mit der Kamera kehrt sie ein halbes Jahrhundert später hierher zurück und verwebt Gegenwart und Vergangenheit. Schnipsel aus Spielfilmen, Ausschnitte zeithistorischer Dokumentationen, Fotografien und Interviews fügen sich mit ihren Aufnahmen des heutigen Paris zu einem poetischen Ganzen. (...) Mit jedem Detail, jedem angespielten Musikstück, jedem Bildausschnitt wird das von ihr vor uns ausgebreitete Panorama lebendiger, wird die Dokumentation über die Künstlerin selbst zum Kunstwerk."

Deutschland/ Frankreich 2019 - 129 Min.; Buch und Regie: Ulrike Ottinger; Kamera: Ulrike Ottinger; Montage: Anette Fleming; Sounddesign und Mischung: Detlef Schitto; Produktion: zero one film; Koproduktion: IdéaleAudience, INA, ZDF/3Sat; Filmförderung: BKM, Medienboard Berlin Brandenburg, FFA, DFFF, CNC (F)

„Die Liebe frisst das Leben" von Oliver Schwabe

Mit 5.000 Euro verbunden ist der Musikpreis der Opus GmbH, der dieses Jahr an Oliver Schwabe für „Die Liebe frisst das Leben, Tobias Gruben, seine Lieder und die Erde" vergeben wird. Der Film spürt dem Werk von Tobias Gruben nach, der auch zwanzig Jahre nach seinem Tod als ungeschliffener, weil nahezu unentdeckter Diamant deutscher Popkultur gilt. Erzählt wird hier nicht nur von einer unvollendeten Musikerkarriere, sondern auch vom anhaltenden Kampf eines Sohnes um die Anerkennung seines Vaters. In Interviews, teils unveröffentlichter Musik und Briefen führt „Die Liebe frisst das Leben" direkt in das Herz und den Kopf eines fast vergessenen Musikers, der kurz vor dem kommerziellen Durchbruch an einer Überdosis stirbt und dessen Texte und Lieder bis heute berühren. Auszug aus der Jury-Begründung: „Der Film schafft, was man sich von jedem Film, nicht nur von Dokumentarfilmen wünscht. Der Plot erzeugt einen intensiven Sog hinein in die Geschichte und die Welt des Protagonisten. (...) Seine künstlerische Gabe, sein Intellekt, seine Sprache, seine Bilder, seine Art zu sein - auf und abseits der Bühne -, die Spuren, die er bei den Menschen bis heute hinterlässt, dies alles ist so hinreißend erzählt, dass der Schmerz über den Verlust dieses Künstlers noch Tage später anhält. Der Film `Die Liebe frisst das Leben, Tobias Gruben, seine Lieder und die Erde` ist nicht nur eine höchst gelungene, fesselnde Musikdokumentation, die dazu noch brillant gefilmt ist. Das Lebensdrama des Tobias Gruben berührt wie das Schicksal eines Romanhelden und macht den Film zu ziemlich großem Kino."

Deutschland 2019 - 92 Min.; Buch und Regie: Oliver Schwabe; Kamera: Nikolas Jürgens (Henning Drechsler); Montage: Christian Becker; Ton: Jule Burjes (Michael Arens, Filipp Forberg); Musik: Tobias Gruben, Die Erde, Cyan Revue, Sol; Produktion: field recordings filmproduktion; Koproduktion: interzone pictures; Filmförderung: Film- und Medienstiftung NRW, FFHSH

Lost in Face" von Valentin Riedl  

Der mit 3.000 Euro dotierte Förderpreis des HDF geht an Valentin Riedl für seinen Film „Lost in Face". Carlotta kann keine Gesichter erkennen, nicht einmal ihr eigenes. Wie bei einem von hundert Menschen ist bei ihr genau diejenige Region des Gehirns blind, die eigentlich Gesichter verarbeitet. Auf ihrer rastlosen Suche findet sie schließlich in der Kunst einen Zugang zum eigenen Gesicht und ertastet sich den Weg zurück zu ihren Mitmenschen. Aus der Jurybegründung: „`Lost in Face` ist ein Grenzgänger zwischen Wissenschaft und Kunst und genau das macht diesen Film so spannend. Denn Carlotta hat ihren eigenen Weg gefunden, sich selbst zu erkennen und sich so mit der Welt und ihren Menschen darin in Verbindung zu setzen. Die Kunst ist für sie der Schlüssel zur Erkenntnis. Carlotta er- und betastet ihr Gesicht und überträgt das Gefühlte in Selbstporträts. Die Welt erfassen, genau dies macht Carlotta im sprichwörtlichen Sinn. (...) Riedl komplementiert die manchmal verstörenden, faszinierenden und auch sanften Porträts seiner Protagonistin mit einer animierten Seelenlandschaft, in der Carlottas Reise zu sich selbst und somit auch zu den Menschen illustriert wird."

Deutschland 2020 - 81 Min.; Buch und Regie: Valentin Riedl; Animationsregie: Frédéric Schuld; Kamera: Doro Götz; Montage: Ivan Morales; Ton: Andreas Hildebrandt, Simon Bastian; Musik: Antimo Sorgente; Produktion: CORSO Film; Filmförderung: Film- und Medienstiftung NRW, BKM, FFF Bayern

Die Hauptjury

Prof. Sung-Hyung Cho (deutsch-koreanische Filmregisseurin und Professorin an der Hochschule für Bildende Künste Saar), Jasmin Herold (Autorin, Regisseurin, Trägerin des Förderpreises im Rahmen Deutscher Dokumentarfilmpreis 2019, Grimme-Preis für „Dark Eden"), Anita Hugi (Direktorin der Solothurner Filmtage), Dr. Christiane Lange (Direktorin Staatsgalerie Stuttgart), Uwe Preuss (Schauspieler, Autor), Dr. Rainer Rother (Künstlerischer Direktor der Deutschen Kinemathek und Leiter der Retrospektive der Berlinale), Valentin Thurn (Dokumentarfilmer und Produzent, „Taste the Waste")

Jury / Musik-Dokumentarfilm

Fola Dada (Sängerin, Komponistin, Gesangslehrerin und Hochschuldozentin), Lutz Gregor (Dokumentarfilmer und 2018 Preisträger / Musik im Rahmen des Deutschen Dokumentarfilmpreis für „Mali Blues"), Rainer Homburg (Leiter der Hymnus-Chorknaben, Organist, Dirigent und Komponist)


Quelle: SWR

Mehr Infos:

SWR Doku Festival
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