„Vielfalt muss gewollt, verstanden – und letztlich (vor)gelebt werden“

Vielfalt im deutschen Film – dazu hat die FilmFacts-Redaktion recherchiert! So ist eine Interviewserie entstanden, die nun wöchentlich erscheint. Mit Kai S. Pieck haben wir über Homophobie und queere Filmstoffe gesprochen.

Kai S. Pieck: Nische ist für mich ein Reizwort. Wir sind in der Mitte der Gesellschaft und kein Ort, wo man sein Putzzeug abstellt."
Kai S. Pieck ist als Initiator der Queer Media Society jeden Tag mit dem Thema Diskriminierung und Vielfalt im Film konfrontiert. | Quelle: Kai S. Pieck

Im vergangenen Jahr hat die MFG eine umfangreiche Diversitäts-Umfrage der Initiativgruppe „Vielfalt im Film“ mitfinanziert. Zu ihren persönlichen Erfahrungen wurden über 6.000 Filmschaffende in Deutschland befragt. Die im Frühjahr veröffentlichten Ergebnisse sind eindeutig: Diskriminierung durchzieht die Branche. In der aktuellen Ausgabe der FilmFacts berichten wir ausführlich zu diesem Thema und legen den aktuellen Entwicklungsstand dar. Dafür haben wir u. a. Interviews mit Vertreter*innen der Initiativgruppe und anderen Branchenmitgliedern mit unterschiedlichen Vielfaltsbezügen geführt. Die Interviews veröffentlichen wir nun in voller Länge in unseren News. Lesen Sie hier weitere Interviews.

 

Kai S. Pieck ist Regisseur und Autor. Er gehört der Initiativgruppe „Vielfalt im Film“ an und hat sich als Initiator der „Queer Media Society“ Aufklärung, Sensibilisierung und Empowerment zum Ziel gemacht.

 

Konnten Sie selbst Defizite in Fragen der Gleichberechtigung und Vielfaltstoleranz in der Branche feststellen?

Als Autor und Regisseur habe ich immer wieder erlebt, wie queere Stoffe, Geschichten und ihre Figuren als „Nischenstoffe“ abgetan wurden, die ‚das Publikum‘ nicht interessieren. ‘Nische’ ist für mich sowieso ein Reizwort. Auch Minderheiten leben in der Mitte der Gesellschaft und wir sind kein Ort, an dem man sein Putzzeug abstellt.

Aktuell arbeite ich z.B. an einem Serien-Projekt mit queeren Hauptfiguren, bei dem von verschiedenen Seiten sukzessive versucht wird, die individuell erzählten queeren Figurenstränge künstlich ‚breiter‘ zu erzählen. Dahinter steht die Angst, die Durchschnittszuschauenden zu überfordern und am Publikum vorbei zu produzieren. Das ist jedoch nicht nur extrem kontraproduktiv, sondern auch absolut nicht zeitgemäß.

Um das zu ändern, müssen vor allem die Entscheidungsebenen diverser werden. Es geht nicht darum, dass diverse Filmschaffende die besseren Menschen wären. Aber: Wir haben die heteronormativ geprägten Muster und Verhaltensweisen unserer patriarchalen Hierarchien nicht komplett internalisiert. Unser Blickwinkel ist ein anderer.

 

Woher kommt aus ihrer Sicht diese Angst, ist Homophobie ein Faktor?

Es ist sicher eine Generationsfrage. Generell sind Queerfeindlichkeit, Mikroaggressionen und auch internalisierte Homophobie in unseren eigenen Reihen – wie zum Beispiel das Leugnen der eigenen queeren sexuellen Identität – oft unterschwellig und sogar unbewusst. Das macht es sehr komplex, die Hintergründe zu durchschauen.

Man sollte auch bedenken, dass in Deutschland aus Datenschutzgründen nicht abgefragt oder weitergegeben werden darf, welche sexuelle Orientierung ein Mensch hat. Allerdings geht die Gesellschaft automatisch zunächst von Heterosexualität aus. Dieses normative Voraussetzen der sexuellen Identität sorgt dafür, dass diese eben nicht irrelevant oder eine Privatsache ist, weil ‚von außen‘ keine neutrale Haltung besteht. Dennoch wird es häufig als übergriffig empfunden, wenn man seine queere Identität offen kommuniziert. Das ist noch lange nicht so selbstverständlich oder beiläufig möglich wie bei Heterosexualität. Es bleibt eine Gratwanderung.

 

Sie sind überzeugt, dass queere Themen und Figuren auch in der Mehrheit der Gesellschaft auf Interesse stoßen würden? 

Im kommerziellen Bereich muss sich ein Filmprodukt natürlich amortisieren. Entsprechend müssen Geschichten persönlich gestaltet, aber auch mehrheitstauglich sein. Das heißt jedoch nicht, dass man jede Figur glatt streicht. Es geht - inhaltlich wie personell - auch um Teilhabe: Es gibt keine Geschichte, die noch nicht erzählt worden ist, durch das Ausleuchten vielfältigerer Lebenswelten können wir die bisher erzählten Geschichten aber bereichern! Und wo mehr Personen aus unterschiedlichen Gruppierungen die Möglichkeit haben, in der Branche zu arbeiten und diese Geschichten zu erzählen, ergeben sich neue Blickwinkel. Das schafft neue künstlerische Freiheit und schränkt nicht die vorhandene ein. Eine Befürchtung, die man häufig hört.

 

Können Sie seit Publikation der Umfrage „Vielfalt im Film“ eine Entwicklung feststellen? Hat sich bereits etwas getan?

Das ist schwer zu sagen. Positiv ist zu bemerken, dass die Resonanz groß war. Wir als Queer Media Society und Co-Initiatorin der Umfrage bekommen immer mehr Anfragen von Institutionen, Firmen und Kreativen, die nach Expertisen fragen, für Workshops, Keynotes, Beratung und Sensitivity Reading. Das führe ich aber auch auf den Umstand zurück, dass „Diversität“ und die Awareness dafür in den letzten zwei Jahren enorm gestiegen sind.

 

Wie engagieren Sie sich für Diversität im Film und gegen Diskriminierung persönlich?

Als Initiator der Queer Media Society bin ich jeden Tag mit dem Thema konfrontiert. Ich gebe Interviews, bin Speaker bei unterschiedlichen Veranstaltungen, diskutiere auf Panels. Wir setzen verschiedene Projekte um, die aufklären, sensibilisieren oder empowern. Außerdem arbeiten wir politisch und aktivistisch, um auf den Entscheidungsebenen etwas zu bewirken. Auch als Regisseur und Autor versuche ich schon immer gegen Stereotype anzugehen oder sie zu brechen.

 

Wie kann man Verbindlichkeit schaffen in der Branche – langfristig?

Das geht meiner Meinung nach nur über Aufklärung und Sensibilisierung. Und natürlich über Quoten-Forderungen und Maßnahmen-Kataloge. Da ist unsere „Vielfalt im Film“-Umfrage der erste wichtige Schritt. Denn ohne valide Zahlen wird man nicht ernst genommen. Ich bin kein Fan der Quote, aber bis wir bei tatsächlicher Gleichberechtigung angekommen sind, ist sie unverzichtbar.

Generell braucht es aber vor allem Sichtbarkeit und Repräsentanz in den Geschichten, denn role models sind essentiell. »If you can see it you can be it«, hat Geena Davis gesagt. Und der Claim der Queer Media Society lautet: »Wer, wenn nicht wir?!« – Wer wäre besser geeignet als queere Medienschaffende, um für LGBTIQ*-Sichtbarkeit und -Repräsentanz in den Medien zu sorgen?

 

Wen sehen Sie neben der Politik in der Verantwortung?

Ich sehe die gesamte Branche in der Verantwortung. Natürlich sind die Entscheider*innen wichtig. Aber alle Filmschaffenden vor und hinter der Kamera müssen mitziehen. Vielfalt muss gewollt, verstanden – und letztlich (vor)gelebt werden. Sie muss in den Köpfen und in den Herzen ankommen.

 

Welche konkrete Maßnahme würden Sie sich für kommende Produktionen wünschen, die die Situation unmittelbar verbessern würde?

Ich würde mir wünschen, dass die (öffentliche) Diskussion um Teilhabe und gendergerechte Sprache etwas sachlicher, respektvoller und weniger diskriminierend geführt wird. Damit wäre schon mal viel geholfen.

 

Das Gespräch führte Katrin Sikora.

  Aktuelle Ausgabe der FilmFacts: Close Up

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