Barrierefreiheit im Museum: Wie drei ZUKUNFTSSTARK-Museen sie umsetzen

Wo die Reiss-Engelhorn-Museen Museen in Mannheim, das Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe und das Bauernhaus-Museum Allgäu-Oberschwaben Wolfegg beim Thema Barrierefreiheit aktuell stehen - und was sie anderen Kultureinrichtungen raten, die Barrieren abbauen wollen.

Abstrakte Formen
ZUKUNFTSSTARK unterstützt Museen dabei, sich digitaler aufzustellen. | Bild: MFG
| Mannheim/Wolfegg

Im Rahmen des MFG Investitionsprogramm ZUKUNFTSSTARK fördert das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg Kultureinrichtungen, die ihre Angebote zeitgemäßer ausrichten möchten. Die Projekte liegen dabei etwa im Bereich der digitalen Infrastruktur, der Modernisierung, der Inklusion und der kulturellen Teilhabe. Für unseren Juni-Newsletter aus dem Kompetenzbereich Digitale Kultur haben wir drei Vertrerinnen von ZUKUNFTSSTARK-Teilnehmenden, den Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim, dem Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe und dem Bauernhaus-Museum Allgäu-Oberschwaben Wolfegg, Fragen zur Barrierefreiheit im Digitalen gestellt. 

Warum ist (digitale) Barrierefreiheit für Ihr Museum wichtig?

„Den Abbau von Barrieren sehen wir als integrale Voraussetzung, um kulturelle Teilhabe zu ermöglichen“, antwortet Alexandra Hermann, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im ZKM Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe, „Unter Inklusion verstehen wir das Recht auf kulturelle Teilhabe für alle Menschen.“ Insbesondere die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur könne als Zugang zu ästhetischen Erfahrungen das eigenmächtige Handeln bestärken und die Teilhabe am demokratischen Diskurs ermöglichen.  Auch Giulia Worf, Projektkoordinatorin für ZUKUNFTSSTARK bei den Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim, findet (digitale) Barrierefreiheit oder Barrierearmut wichtig, um eine kulturelle Teilhabe zu ermöglichen und die Vielfalt der Bedürfnisse der Besuchenden zu berücksichtigen.

Barrierefreiheit im Wortsinn zu erreichen sei für ein ländlich gelegenes Freilichtmuseum, das historische Gebäude sammelt und möglichst originalgetreu ausstellt, nahezu unmöglich, merkt Dr. Tanja Kreutzer vom Bauernhaus-Museum Allgäu-Oberschwaben Wolfegg an. „Umso wichtiger ist es uns, durch analoge wie digitale Maßnahmen eine möglichst große Barrierearmut für Menschen mit unterschiedlichen körperlichen, Sinnes- und kognitiven Einschränkungen auf unserem Gelände umzusetzen, um ihnen die Inhalte des Museums auf unterschiedlichen Wegen näher zu bringen.“ Mit dem 2023 auf dem Gelände eröffneten historischen „Hof Beck“ fänden verstärkt auch Menschen mit unterschiedlichen Handicaps Berücksichtigung.

Was haben Sie sich für Ihr ZUKUNFTSSTARK-Projekt mit Blick auf digitale Barrierefreiheit vorgenommen?

Die ZUKUNFTSSTARK-Museen haben unterschiedliche Bedingungen, bemühen sich im Rahmen des Programms aber alle um mehr Barrierefreiheit. Das Bauernhaus-Museum Allgäu-Oberschwaben Wolfegg realisiert im Rahmen des Förderprogramms zum Beispiel digitale Maßnahmen zur Barrierearmut im angesprochenen „Hof Beck“, einem Bauernhaus mit Wirtschaftstrakt aus der Zeit um 1900. Ein Mediaguide in Gebärdensprache wurde zum Beispiel zusammen mit einem selbst gehörlosen Gebärdenübersetzer in Eigenregie und partizipativ erstellt. „Der Kontakt zum Experten in eigener Sache und die enge Zusammenarbeit mit den Betroffenen erhöhen die Sensibilität zum Thema Barrierearmut im gesamten Museumsteam und ermöglichen nachhaltiges institutionelles Lernen“, so Dr. Tanja Kreutzer. 

Die Museums-Website wollen auch das ZKM und die Reiss-Engelhorn-Museen barriereärmer gestalten. Dazu gehören bei beiden Einrichtungen unter anderem Videos in deutscher Gebärdensprache und ein inklusiverer Social Media Auftritt. „Darüber hinaus werden wir zwei Bildschirme in eine Dauerausstellung platzieren, auf denen Videos in Lautsprache, Deutscher Gebärdensprache und mit Untertiteln laufen werden“, sagt Giulia Worf für die Reiss-Engelhorn-Museen. Auch das ZKM will sein Haus mit dem Einsatz digitaler Medien barriereärmer aufstellen.

Welche Schritte haben Sie bisher unternommen und welche Herausforderungen haben Sie dabei gemeistert?

Alle drei Museen haben sich schon um den Abbau von Barrieren bemüht und dabei sowohl ähnlich als auch unterschiedliche Maßnahmen bereits umgesetzt. „Als große Herausforderung gestaltete sich die Beschaffung passender Bildschirme, die inklusiv nutzbar und bedienbar sind“, sagt Giulia Worf. Die bereits existierenden Videos wurden mit Gebärdensprache und Untertitel versehen. Ein Video zum Thema Behinderung in der Steinzeit werde gerade produziert. 

Im ZKM wurde das inklusive Vermittlungsangebot in Form von inklusiven Führungen ausgebaut. „Hierfür wurden auch stadtübergreifende Gespräche mit anderen Kulturinstitutionen geführt, mit dem Ziel ein lokal übergreifendes Netzwerk und Vermittlungsangebot zu schaffen“, berichtet Alexandra Hermann. Zudem gebe es eine Kooperation mit dem inklusivem Künstler*innen-Atelier „AHOI studios“, Sensibilisierungsworkshops für die Mitarbeiter*innen, es wurden Rollstühlen, Gehwägen und Kinderbuggies angeschafft und die Website wurde angepasst.

Dr. Tanja Kreutzer berichtet: „Bislang wurde der historische Teil des „Hof Beck“ für Menschen mit unterschiedlichen Handicaps inklusiv erlebbar gemacht.“ Die partizipative Arbeit mit Betroffenen erfordere weit mehr zeitliche und personelle Ressourcen als ein konventionelles Ausstellungsprojekt, die Evaluierung durch Betroffene sei jedoch durchweg extrem positiv, „so dass wir schon heute sagen können, dass sich der hohe Aufwand gelohnt hat." Herausfordernd seien auch die sehr unterschiedlichen Anforderungen, die verschiedene Einschränkungen an die Barrierearmut stellen. „Was für eine Person im Rollstuhl eine Erleichterung darstellt, kann für eine blinde Person zur Barriere werden. Gemeinschaftlich mit den Betroffenen eine Lösung zu erarbeiten, die allen Seiten gleichermaßen gerecht wird, stellte sich als große und zugleich sehr lohnende Aufgabe dar.“ 

Was steht bis zum Ende des Förderprogramms noch an?

Im ZKM soll unter anderem ein taktiles Bodenleitsystem installiert werden, ebenso wie eine taktile Taststation und ein Gebäudeplan im Foyer. Zudem soll es eine inklusive Ausstellungsbroschüre in Einfacher Sprache geben.

Im Untergeschoss des Hof Beck sollen bis zum Ende des Jahres digitale Maßnahmen zur Barrierearmut für eine weitere Dauerausstellung umgesetzt werden. Aufgrund der saisonalen Schließung des Museums im Winter wird die Ausstellung selbst ab Frühjahr 2024 dem Publikum zugänglich gemacht.

Die Reiss-Engelhorn-Museen wollen Willkommens-Videos und eventuell ein weiteres Video zu den inklusiven Angeboten in Gebärdensprache mit Untertiteln drehen. Der Badische Blinden- und Sehbehindertenverein V.m.K. wird im Juli die Museenwebseite auf Nutzbarkeit testen. Außerdem wird ein Blindenleitsystem bestellt sowie taktile Stationen mit Braille- und Profilschrift eingebracht.

Was würden Sie anderen Kultureinrichtungen raten, die ähnliche Ziele verfolgen?

„Es lohnt sich in jedem Fall, den Kontakt mit den Betroffenen zu suchen und die Expertise einzuholen – zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Projekt sollten Betroffene partizipativ einbezogen werden“, meint Dr. Tanja Kreutzer. „Wenngleich der zeitliche und personelle Aufwand hoch ist, schafft ein solches Vorgehen eine hohe Akzeptanz bei den Betroffenen und bewahrt das Museum mitunter auch vor wenig nachhaltigen Maßnahmen oder „Schnellschüssen“, die zwar teuer aber dann nicht nutzbar sind.“ Trotzdem sollte ein langer Projektrahmen eingerechnet werden, da zahlreiche Prüfrunden und Korrekturschleifen Teil der Arbeit seien. „Auch der Kostenrahmen sollte für individuelle Lösungen entsprechend angepasst werden.“ Sensibilisierungs-Fortbildungen im Team sollten das Vorgehen komplettieren.

Auch Giulia Worf rät Kultureinrichtungen, sich an die verschiedenen Interessensverbände der Zielgruppen zu wenden und alle Maßnahmen von der Konzeption zur Umsetzung partizipativ mit den Zielgruppen zu entwickeln. Eine wichtige Kontaktperson könne auch immer der/die Beauftragte für Menschen mit Behinderungen der jeweiligen Stadt sein. Im Idealfall sollte ein Mitarbeitender  oder eine Mitarbeiterin für das Thema Inklusion angestellt werden.

„Einfach machen“, beantwortet Alexandra Hermann die Frage. Auch kleine Anpassungen hätten meistens schon eine große Wirkung auf den Abbau möglicher Barrieren. „Vor allem der Austausch und das Vernetzten mit Menschen die behindert werden, ist dabei elementar, um als Institution ein inklusiver Ort zu werden.“

Quelle: Vlora Kleeb / MFG Baden-Württemberg

 

Mehr Infos:

Reiss-Engelhorn-Museen in Mannheim

Zentrum für Kunst und Medien Karlsruhe

 Bauernhaus-Museum Allgäu-Oberschwaben Wolfegg

Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg

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