Erfolgreiches Branchentreffen der Dokumentarfilmszene in Stuttgart

Speed Dating zwischen Redaktionsvertreter*innen und Filmschaffenden war komplett ausgebucht.

DOKVILLE 2024: Case Study "Riefenstahl" u.a. mit Regisseur Andres Veiel und Produzentin Sandra Maischberger | © Dokville, Eric Friedler
| Stuttgart

Dank inspirierender Impulsvorträge und Diskussionen, aufschlussreichen Case Studies und neuer Formate zum konkreten Austausch über geplante Projekte kann die von der MFG unterstützte Branchenveranstaltung DOKVILLE als voller Erfolg gewertet werden. An zwei intensiven Tagen wurde unter dem Motto "Krieg und Des:Information" über die unheilvolle Wirkung von gefälschten, übertriebenen und einseitig-manipulativen Meldungen in den Sozialen Netzwerken und propagandistischen Sendern von Terrorgruppen oder Diktaturen diskutiert. Demgegenüber stehen verantwortungsbewusste und dem Gedanken des sachlich-aufklärerischen Informierens verpflichtete Journalisten und Journalistinnen, Redakteur*innen und Filmschaffende, die zu DOKVILLE eingeladen waren, um die Herausforderungen ihres Metiers und ihrer tagtäglichen Arbeit zu beschreiben.

Verzweifelter Kampf gegen die schiere Masse an Propaganda

Der Leiter des Medienressorts und stellvertretender Feuilletonchef der F.A.Z. Michael Hanfeld fasste die immer dramatischere Lage an der um Ausgewogenheit und Sachlichkeit bemühten Nachrichtenfront in seinem Vortrag in mahnenden Worten zusammen: "Das Trommelfeuer der Propaganda und Desinformation, mit dem wir eingedeckt werden, verfehlt seine Wirkung nicht. Was richtig ist und was falsch, was wahr und was gelogen, ist immer schwieriger zu ermitteln. Die Lüge lässt sich nicht immer widerlegen, sie wirkt, sobald sie in der Welt ist. Beweise sind schwer zu erbringen, zumal sich mit Künstlicher Intelligenz inzwischen Fälschungen erstellen lassen, die selbst Fachleute nicht leicht erkennen."

Ein publizistisches Gegengewicht gegen die Hetzer und Trolle zu bilden, ist nur mit Bildern aus antiken oder biblischen Sagen auszudrücken, gleicht sie doch einer Sisyphusarbeit oder dem Kampf Davids gegen Goliath. Denn die Hetzer agieren meist perfider als die bedächtig Prüfenden: Sie bemächtigen sich der digitalen Kanäle, um mit schierer Quantität ihre Ziele zu erreichen. Viel hilft viel, so der Grundgedanke, das Gefälschte und Einseitige irgendwann als Wahr erscheinen zu lassen. Wohl jede*r der geladenen Redakteur*innen oder Reporter*innen wies darauf hin, dass mit der gleichen Sturheit, Konsistenz und Penetranz, mit der die Gegner von Toleranz und friedlichem Miteinander ihre Kanäle mit Fake News befüllen, auch die aufrechten Verteidiger der faktenorientierten Aufklärung vorgehen müssen. Michael Thumann, außenpolitischer Korrespondent der ZEIT mit Sitz in Moskau und Berlin, beschrieb anhand zahlreicher Beispiele, wie die offizielle Propaganda, also das gezielte Storytelling der russischen Regierung in Bezug auf den Krieg gegen die Ukraine und ‚den Westen‘, funktioniert -- und zwar bei vielen russischen Bürger*innen gut funktioniert. Sein Fazit bzw. seine Empfehlung: Die Redaktionen müssen massiv in die Sozialen Medien investieren und dort Präsenz zeigen, vor allem, wenn diese relativ neu sind wie TikTok.

Spannende Case Studies von engagierten Dokumentarfilmern

Weitere Keynote-Speaker waren die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst des Landes Baden-Württemberg Petra Olschowski MdL, die ARD-Programmdirektorin Christine Strobl, die Kommunikationsstrategin Swantje Kortemeyer vom Auswärtigen Amt und Special Guest, der preisgekrönte amerikanische Regisseur Eugene Jarecki

Natürlich ging es auch um Filme und Doku-Formate. Besonders spannend waren die Präsentation der ersten Bilder und die Diskussion um den neuen Film von Regisseur Andres Veiel, „Riefenstahl“. Aus der Sichtung von unzähligen Dokumenten und Fotos aus hunderten Kartons des Nachlasses der berühmt-berüchtigten Propagandafilmerin des 3. Reichs haben er und sein Team, darunter Produzentin Sandra Maischberger, in vielen Monaten im Schnittraum einen anspruchsvollen Film geschaffen, der die Brüche und Leerstellen hinter der aus Leugnungen konstruierten Fassade der ebenso innovativen wie umstrittenen Regisseurin aufzeigen möchte. Bewegend auch die Live-Zuschaltung des ukrainischen Regisseurs, Fotojournalisten und Kriegskorrespondenten Mstyslav Chernov, der berichtete, unter welchen haarsträubenden Bedingungen sein „Oscar“-preisgekrönter Dokumentarfilm "20 Tage in Mariupol“ zustande kam.

Öffentlich-rechtliche kooperieren mit privaten Anbietern im Dienste der Sache

Die Vertreter*innen der Redaktionen betonten, dass originelle Zugriffe auf Themen und eine erkennbare handwerkliche Qualität bei der Umsetzung dokumentarischer Projekte wichtig sei, um die auf den Portalen umhersuchenden Zuschauer*innen von einem Format oder einem Beitrag zu überzeugen (Panel: "Streaming und Mediatheken – Herausforderungen für den Dokumentarfilm“) – was an Diskussionen um Serien vor ca. 15 Jahren erinnerte. Christian Asanger, seit 2016 bei Sky Deutschland Vice President Entertainment, und seine Kollegen bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, darunter Thomas Hinrichs, seit 2014 Programmdirektor Information des Bayerischen Rundfunks BR, verwiesen auf positive Beispiele einer Kooperation, die sowohl für das Erreichen eines hohen Production Value als auch großer Reichweite bürgen. Die gnadenlose Konkurrenz der dualen Systemvertreter um Klickquoten im fortgeschrittenen Streaming-Zeitalter – sie scheint zugunsten des Kampfes um gute Projekte passé. Dies immerhin war eine gute Botschaft angesichts sonst schrumpfender Budgets und der schrumpfenden Anzahl an Slots bei den Sendern.

Speed Dating: Direkter Austausch über Projekte füllte eine Lücke

Das von der MFG unterstützte neue Format des direkten Verbindens von Kreativen einerseits und den Redakteurinnen und Redakteuren andererseits im Format Kopf-an-Kopf-Speed Datings erwies sich als besonders beliebt: Dank der hohen Nachfrage von mehr als 100 Akkreditierten, darunter viele Dokumentarfilmer*innen mit brandneuen Projekten, musste das Format um die doppelte Länge auf zwei Stunden verlängert werden. Nun dürfen wir gespannt sein, welche Projekte demnächst an den Drehstart gehen.

Quelle: MFG, DOKVILLE
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