Lea Schönfelder machte 2014 ihr Diplom an der Filmakademie Baden-Württemberg im Studiengang „Interaktive Medien“. Später arbeitete sie als Game-Designerin in verschiedenen Studios und gründete 2020 das Game Studio „Fein-Games“ in Berlin. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, Casual Games mit weiblicher Perspektive zu entwickeln. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen als Frau in der Games-Branche, über ihre Mentor*innen und über ihre Spiele „Perfect Woman“ und „Finding Hannah“.
Die Interviewreihe „Frauen in der Games-Branche in Baden-Württemberg“ hat zum Ziel, das Engagement und die Darstellung von Frauen in diesem Markt und in den Spielen genauer zu untersuchen.
Wie kam es dazu, dass du dich für einen Weg in der Games-Branche entschieden hast?
Mein Weg in die Games-Branche war nicht typisch, da ich nicht von klein auf Computerspiele gespielt habe. Ich habe Animation und Illustration studiert und der entscheidende Moment war, als ich zusammen mit meinem jetzigen Ehemann ein Point-and-Click-Adventure entwickelt habe. Für dieses Spiel haben wir den Studentenpreis auf dem Independent Games Festival in San Francisco gewonnen. Auf diesem Festival habe ich erkannt, dass Computerspiele weit mehr sein können als nur „ein bisschen blöde Unterhaltung“, wie meine Eltern immer sagten. Man kann durch Spiele verschiedene Genres erkunden, gesellschaftliche Kommentare abgeben und künstlerisch tätig sein. Natürlich sehe ich Spiele immer noch als ein Unterhaltungsmedium, aber sie können auch tiefere, emotionale und intellektuelle Ebenen erreichen. Deshalb bin ich in der Branche geblieben und arbeite hier immer noch.
Du hast in einem Interview mit Vogue Deutschland gesagt, dass du willst, dass sich Frauen mit den Frauen in Spielen identifizieren können. Was muss dafür deiner Meinung nach gegeben sein?
Meiner Meinung nach ist es wichtig, dass Frauen in der Spieleproduktion beteiligt sind, und zwar auch in leitenden Positionen. In den letzten Jahren hat sich die Situation verbessert und wir sehen mehr weibliche Angestellte und Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen in Entwicklerteams. Aber in vielen Firmen und Teams dominieren immer noch Männer die entscheidenden Positionen. Franziska (Anm. d. Red. Mitgründerin von Fein Games) und ich haben Fein Games gegründet, weil wir erkannt haben, dass in vielen Studios Spiele wie „Finding Hannah“ wahrscheinlich nicht entstehen würden. Dieses Spiel dreht sich um die Midlife-Crisis einer 30-jährigen Frau, ein Thema, das ein 30-jähriger männlicher Gamer vermutlich nicht wählen würde. Es braucht Diversifikation vor und hinter dem Bildschirm und eine offene Branche.
Das Spiel „Perfect Woman“ ist bereits während deines Studiums entstanden. Wie kam es zu dieser Spielidee?
Die Idee zu „Perfect Woman“ kam durch persönliche Erfahrungen, wie die meisten meiner Spielideen. Ich war damals am Game Lab der Universität Kalifornien (UCLA) in Los Angeles und arbeitete dort zusammen mit Peter Lu an dem Prototypen. In dieser Zeit war ich mit meinem jetzigen Mann in Los Angeles und fühlte mich hin- und hergerissen zwischen dem Erkunden dieser neuen Welt und dem Anspruch, an der Universität ein tolles Spiel zu entwickeln. Dieses Dilemma spiegelt ein größeres Thema wider, das viele Frauen und Mütter betrifft: der Anspruch, in allem perfekt zu sein. Das Spiel thematisiert die unmöglichen Erwartungen, die an Frauen gestellt werden – sie sollen toll aussehen, Karriere machen, Kinder haben, einen guten Freundeskreis pflegen und dabei noch entspannt sein. „Perfect Woman“ zeigt: Je mehr man versucht, diesen Maßstäben zu entsprechen, desto unmöglicher wird das Spiel.
Und war dieses Spiel der ausschlaggebende Punkt, dass du dich in deiner Laufbahn auf Spiele für Frauen fokussiert hast?
Im Grunde schon. Die Gründung von Fein Games war sozusagen die Manifestierung meiner bisherigen Arbeit. Frauen spielten in meinen Projekten immer eine zentrale Rolle, was vielleicht auch auf die feministische Erziehung meiner Mutter zurückzuführen ist.
2023 wurde das Spiel „Finding Hannah“ vom App Store als Gewinner in der Kategorie Cultural Impact gekürt. Wie versucht dieses Spiel einen Cultural Impact zu schaffen?
Es ist eigentlich interessant, dass „Finding Hannah“ in dieser Kategorie ausgezeichnet wurde, da es eines der kommerziellsten Spiele ist, an dem ich bisher gearbeitet habe. Die Mechaniken sind nicht besonders innovativ, aber wir haben durch die Geschichte und die Grafik Innovation eingebracht. Das Spiel handelt von drei Frauen in Berlin und ihren Entscheidungsmöglichkeiten in verschiedenen Epochen – den 1940ern, den 1970ern und heute. Wir haben eine queere Autorin engagiert und ohne dass wir es geplant hatten, hat sie einen der Charaktere als queer geschrieben. Das wurde von der LGBTQ+ Community sehr positiv aufgenommen, was uns natürlich gefreut hat. Wir wollten einfach Themen aufgreifen, die Frauen interessieren und sie im Alltag beschäftigen, ohne direkt Antworten zu geben.
Welche besonderen Herausforderungen hast du als Frau in der Games-Branche erlebt, insbesondere in einer Führungsposition?
Meine persönlichen Erfahrungen waren überwiegend positiv. Es gibt viele Menschen, auch Männer, mit einer progressiven Einstellung, die unsere Arbeit unterstützen. Ich hatte auch einige männliche Förderer, denen ich viel verdanke. Dennoch sticht man als Frau in dieser Branche hervor, was die Sache schwieriger macht. Als ich beispielsweise für unser Start-up nach Finanzierung suchte, waren die meisten Investoren Männer und die meisten Pitches werden von Männern gehalten. Es ist bekannt, dass man eher in Leute investiert, die einem ähnlich sind, genauso wie man eher Leute einstellt, die einem ähnlich sind. Frauen und Personen mit unterschiedlichem kulturellen Hintergrund, Hautfarbe oder Sprache haben es einfach schwerer. Es ist schwieriger, den Fuß in die Tür zu bekommen und weiter aufzusteigen, weil man immer auffällt und sich mehr erklären muss.
Wie bist du mit diesen Herausforderungen oder den Vorurteilen umgegangen?
Ich bin unterschiedlich damit umgegangen. Manchmal hat es mich positiv angetrieben, nach dem Motto „jetzt erst recht“. Meine Reaktionen hängen stark davon ab, wer mir gegenübersteht. Es gibt Leute, bei denen merkt man sofort, dass es keinen Sinn hat, weil sie andere Vorstellungen haben. Das muss man dann akzeptieren. Es gibt aber auch Leute, die einen von Anfang an verstehen. Wir hatten großes Glück mit einem unserer Investoren, Klaas Kersting, den wir nicht groß überzeugen mussten.
Hattest du Mentor*innen, andere Frauen oder Männer, die dich auf deinem Weg inspiriert haben?
Ja, definitiv. Es gab Frauen und Männer, die mich inspiriert haben. Zum Beispiel die Geschäftsführerin von ustwo Games, María Sayans, bei der ich vier Jahre gearbeitet habe. Auch Sabiha Ghellal (Anm. d. Red.: Professorin an der Hochschule der Medien), Inga von Staden (Anm. d. Red.: Strategic Lead Interactive Media Foundation) und Andreas Hykade (Anm. d. Red.: ehem. Direktor des Animationsinstituts der Filmakademie Baden-Württemberg) waren wichtige Mentoren für mich. Unser Investor Klaas Kersting hat uns ebenfalls sehr unterstützt
Was sind deiner Meinung nach die größten Missverständnisse oder Vorurteile, die Frauen in der Games-Branche begegnen?
Ein großes Missverständnis ist, dass Frauen nicht als Führungskräfte in der Games-Branche wahrgenommen werden. Wenn man sich einen CEO einer großen Spielefirma vorstellt, denkt man nicht zuerst an eine Frau. Ein weiterer Punkt ist das Fehlen von Netzwerken für Frauen bis in die obersten Etagen oder zu Investoren. Es gibt noch viel Entwicklungsbedarf, um Frauen in diesen Bereichen besser zu unterstützen.
Und noch eine letzte Frage zum Schluss: Welches ist aktuell euer Lieblingsgame und warum?
Jetzt ertappst du mich auf frischer Tat :). Im Moment spiele ich viel „PokPok“ mit meiner Tochter. Ich habe die Entwicklerinnen im Rahmen des App Store Awards kennengelernt, wo sie in einer anderen Kategorie gewonnen haben. Das Spiel ist wunderschön gemacht und bietet eine visuell ruhige Welt, in der sich meine 5-jährige Tochter ausleben kann.