Christoph Brosius ist Game-Thinking-Experte und Mitgestalter der Initiative GiG – Games & Gamification im Gesundheitswesen, die den Austausch zwischen Game-Designer*innen und Gesundheitsexpert*innen fördert und Erfolgsgeschichten sichtbar macht. Im Experteninterview erklärt er, warum die Zusammenarbeit dieser beiden Welten enormes Potenzial hat.
Immer mehr Akteure aus der Gesundheitswirtschaft entdecken spielerische Ansätze für ihre Anwendungen. Was ist das Ziel von Gamification im Gesundheitswesen?
Christoph Brosius: Das Ziel einer cross-sektoralen Zusammenarbeit mit der Games-Branche ist immer die Veränderung des Verhaltens von Menschen. Was in Games automatischer Standard ist, damit Spielende bestmöglich in den Flow kommen und Spaß haben zur reinen Unterhaltung, wird bei Gesundheitsanwendungen in unterschiedlichsten Bereichen eingesetzt. Von der routinemäßigen Überwachung bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes bis zur Förderung von gesunden Lebensstilen und präventivem Training noch vor akuten Beschwerden.
Warum ist das Know-how der Games-Branche dabei so wertvoll?
Das Wissen der Games-Industrie hilft dabei, dass Anwendungen besser und länger genutzt werden. Das schafft Differenzierung im Markt für die Hersteller und erhöht die Wirksamkeit ihrer Angebote. Gleichzeitig werden die Anwendungen ansprechender für eine Gesellschaft, in der das durchschnittliche Alter von Gamern Mitte 40 ist. Was früher noch akzeptabel war, ist heute oft nicht mehr einladend und motivierend genug im Vergleich zu allen anderen Angeboten des Lebens.
Und umgekehrt? Eröffnet der Gesundheitsbereich auch neue Perspektiven für Games-Entwickler*innen?
Für die Games Akteure wird aktuell das Wettbewerbsumfeld zunehmend enger. Durch bessere Tools und freier zugängliche Marktplätze ist es heute um ein Vielfaches schwieriger geworden, dass selbst sehr gut produzierte Games von Kunden wahrgenommen und gespielt werden. Parallel erfasst die Branche gerade eine große Konsolidierungswelle, verbunden mit einer Verkleinerung der Belegschaft bis hin zu der Schließung von Studios.
Der Gesundheitsmarkt ist einer dieser alternativen Pfade, in denen das eigene Wissen und Können außerhalb der umkämpften Marktplätze wie Steam (digitale Vertriebsplattform für Spiele, Anm. d. Red.) extrem Gewinn bringend eingesetzt werden kann. Ich denke, für viele Studios und freie Profis wird die Arbeit im Health Bereich ein eigener Geschäftszweig werden – wenn man sich auf dieses Abenteuer einlässt. Die Prognosen sagen in jedem Fall ein großes Wachstum voraus.
Welche Probleme werden durch die Gamification für welche Zielgruppe gelöst?
Genau das ist die Hürde, über die Games-Experten springen müssen. Hier geht es nicht in erster Linie um die gute Story, den perfekten Game Loop (wiederkehrende Spielstruktur zur Nutzerbindung, Anm. d. Red.) oder die fotorealistische Grafik. Bei Projekten an dieser Schnittstelle müssen sich Game Designer*innen darauf einlassen, dass es gilt, herauszufinden, was am besten für diese Patientengruppe wirkt. Das kann bei einem Exergame (bewegungsbasiertes Spiel, Anm. d. Red.) in der Reha dann bedeuten, dass zum Training ganz bestimmter Muskelgruppen manche gute Idee zwar in einem reinen Game Spaß bringen würde, aber nicht den gewünschten Trainingserfolg erzeugt.
Welche Erwartungen müssen Anbieter im Gesundheitsbereich neu denken?
Hersteller von Gesundheitslösungen müssen sich im Gegenzug damit zurechtfinden, dass es nicht die eine Art von Spaß und einfache Antwort gibt. Menschen spielen aus unterschiedlichsten Motiven und jede dieser Motivationsgruppen braucht eigene Kniffe, damit sie aktiviert wird. Die einen wollen sich vergleichen können und im Wettbewerb stehen, während andere am liebsten eine Geschichte erleben und ständig neues entdecken möchten. Eine pragmatische Übersicht der unterschiedlichen Motivationstypen findet man zum Beispiel im Octalysis Framework, das die Motivationswerkzeuge des Game Designs übersichtlich beschreibt. Aus Sicht der Endanwender geht es immer darum, dass man möglichst leichtfüßig dabei unterstützt wird, die Motivation aufzubringen, etwas Bestimmtes zu tun für die eigene Gesundheit.
Wie sehen praktische Anwendungen in der Schnittstelle zwischen Games und Gesundheitswesen aus?
Ein schönes Beispiel jenseits der Patient*innen ist das Laparoskopie-Training (minimalinvasive Eingriffe im Bauchraum, Anm. d. Red.) für Ärzt*innen. Wo der Status Quo der Übungsgeräte Nagelbretter mit Gummiringen ist, die mit den Werkzeugen bewegt werden müssen, da wurde mit Underground ein hochwertiges Spiel produziert, bei dem man spannende Aufgaben lösen muss in voller 3D-Pracht. Das Erlernen des Umgangs mit den Werkzeugen wird dadurch von einer notwendigen Pflichtaufgabe zu einer intrinsisch motivierten Freude, die Spaß macht.
Gibt es auch analoge Beispiele für Game Thinking?
Absolut! Ganz analog hat zum Beispiel Dr. Anne Heinz aus ihrer Kinderzahnarztpraxis das Dentiland gestaltet. Ein Besuch beim Zahnarzt gleicht bei ihr viel mehr einem Trip ins Disneyland. Da kriegt man sogar als Erwachsener große Lust mal wieder zur Zahnreinigung zu gehen!
Zeigt sich Gamification auch in Medizinprodukten?
Games und Gamification findet man längst im Bereich der Medizinprodukte. Bayer hat z.B. für das Glukosemessgeräte Didget Schnittstellen zum Nintendo DS geschaffen, während MySugr die Motivation sehr erfolgreich in eine App packt.
Was sind die Herausforderungen bei der Umsetzung von Games-basierten und gamifizierten Gesundheitsanwendungen?
Zwei so unterschiedliche Welten miteinander zu verbinden, bringt seine eigenen Herausforderungen mit sich. Das fängt schon bei der Sprache an. Medizinische Fachsprache und Perspektiven unterscheiden sich von den Modellen und Konzepten, die Spieleentwickler täglich nutzen.
Wo die einen lernen müssen, was ein Streak ist (Belohnungssystem für kontinuierliche Nutzung, Anm. d. Red.) und warum es motiviert eine Gewinnserie nicht unterbrochen haben zu wollen, da müssen die anderen verstehen, was spezifische Diagnosen mit sich bringen und warum die Gebrauchstauglichkeit insb. von Medizinprodukten ein so großes Thema ist.
Unterscheiden sich Spiel- und Gesundheitslogik in der Umsetzung?
Wo Games gern fünfe gerade sein lassen und sich die Welt so biegen, wie sie es brauchen, da ist die Gesundheitswirtschaft derWissenschaft, mächtigen Normen und Vorschriftenverpflichtet, damit ein Schaden für die Anwendenden ausgeschlossen werden kann.
Ganz praktisch ist aber auch immer die Frage, wo und wie sich die Akteure überhaupt begegnen. Startet eine der beiden Seiten ohne die Domänenexpertise der anderen auf die Reise, dann arbeitet man oft mit vielen blinden Flecken. Was macht wirklich Sinn im alltäglichen Einsatz in der Praxis, was ist ein sinnvolles Geschäftsmodell und welche Technologie kann in welchem Fall sicher eingesetzt werden?
Wie schafft die Initiative "GiG – Games im Gesundheitswesen" die Schnittstelle zwischen Games und Gesundheitswesen?
GiG möchte genau an der Hürde zwischen den verschiedenen Logiken der zwei Branchen die Hemmschwelle senken und den Transfer zwischen den Welten erleichtern. Unser Ziel bei GiG ist es, dass wir konkrete Beispiele von Gamification in Medizinanwendungen sichtbar machen und im Detail beleuchten, welche Werkzeuge des Game Designs jeweils zum Einsatz kommen und wie diese Partnerschaften gelingen konnten.
Wir starten dazu in diesem Jahr mit zwei Formaten. In den GiG xTalks laden wir Best Practice Beispiele ein und sprechen sowohl mit den Herstellern aus dem Gesundheitsbereich, als auch mit den Game Designern, die an der Umsetzung beteiligt waren. Der erste Talk am 1.7.2025 um 12 Uhr wird online als Lunchevent einen Einblick bieten in Apelvo, ein gamifiziertes Beckenbodentraining.
Und das zweite Format?
Neben zwei weiteren von diesen spannenden Praxiseinblicken planen wir im Oktober ein GiG xLab. Dort laden wir dazu ein vor Ort in Mannheim an realen Cases zu arbeiten und neue Lösungen im Bereich der Mentalen Gesundheit und Prävention zu arbeiten. Nach dem Wochenende ist aber nicht Schluss, sondern es gibt eine Förderung von bis zu 8.000 Euro als Anschub, damit diese Ideen dann als Prototyp ihren Weg in die Umsetzung finden können.
Bei allen Formaten steht die Vernetzung im Vordergrund. Einander kennenlernen, einander besser verstehen und die wechselseitigen Potenziale erkennen. Neue Partnerschaften brauchen Zeit und Vertrauen. So kann Zug um Zug Baden-Württemberg zu einem Hotspot für Games und Gamificationim Gesundheitswesen werden.