Dr. Christian Gries ist Kunsthistoriker, Medienentwickler und Leiter der Abteilung "Digitale Museumspraxis & IT" am Landesmuseum Württemberg. Als Experte für digitale Strategien trug er bereits 2021 zur MFG Digitalwerkstatt bei. Für den Newsletter Digitale Kultur wirft er einen aktuellen Blick auf den Stand digitaler Kompetenzen im Kulturbetrieb.
In einer zunehmend digitalisierten Welt ist es unerlässlich, dass Museumsmitarbeitende in fast allen Ebenen, Arbeits- und Fachbereichen vertiefende Medienkompetenz entwickeln, um am digitalen Leben und Arbeiten teilhaben zu können: "Der Zugang zu digitalen Technologien hat sich weiter verbessert, die Nutzung digitaler Anwendungen ist gestiegen. Nachholbedarf gibt es weiterhin bei den digitalen Kompetenzen", schreibt Bundesminister Dr. Robert Habeck in der Flächenstudie zur bundesdeutschen Digitalkompetenz, dem Digital-Index 2023/24. Die Entwicklung und Ausgestaltung belastbarer und zeitgemäßer Handlungsfertigkeiten liegt in der Verantwortung jedes Einzelnen, wird aber auch durch gesellschaftliche, kulturelle, technische und institutionelle Rahmenbedingungen konturiert.
Damit liegen Aufgabenfelder auch bei den Arbeitgeber*innen, die durch geeignete Arbeitsumgebungen, Prozesse, Ressourcen und Fördermaßnahmen die Digital Literacy der Mitarbeiter*innen maßgeblich entwickeln können. Ein digital kompetentes Museum zeichnet sich auch durch die Expertise und Innovationskraft der eigenen Mitarbeiter*innen bei der Gestaltung und Nutzung digitaler Technologien für Dokumentation, Vermittlung und Kommunikation aus. Digital Literacy hat folgend auch eine organisationale Ebene und beschreibt die Zukunftsfähigkeit eines modernen Betriebs.
Digital Literacy – ein Begriff für umfassende beziehungsweise spezifische Medienkompetenz?
Das Bemühen, die aktuellen Anforderungen einer digitalen Alphabetisierung in einem Begriff zu fassen, mündet seit einiger Zeit in der Diskussion um den Terminus der Digital Literacy. Dabei liegt bislang noch kein verbindlicher Katalog vor, der die relevanten Themen- und Handlungsfelder, insbesondere für Kulturbetriebe, definiert. Im Blick auf flankierende Entwicklungen in Gesellschaft und Politik lassen sich aber sinnvolle Übertragungen und Analogien formulieren.
Im Kanon der klassischen Museumsaufgaben, dem Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln, aber auch den substituierenden Verwaltungs- und Arbeitsprozessen, sind digitale Technologien längst in den Arbeitsalltag eingewachsen. Studien belegen aber, dass die digitale Kompetenz der Mitarbeitenden den Anforderungen hinterherhinkt und die Defizite einen weiteren digitalen Wandel erschweren oder verhindern können. Hauptursachen kann man in fehlenden Ressourcen, einer mangelhaften digitalen Infrastruktur, einer oftmals eingeschränkten Handlungsfreiheit sowie der mangelhaften Aus- und Weiterbildung der Mitarbeitenden vermuten. Der Digital-Index 2023/24 macht deutlich, dass die Resilienz im digitalen Wandel schwindet und die Fähigkeit, mit dem digitalen Wandel Schritt zu halten, in fast allen Bevölkerungsgruppen abnimmt.
In einer Studie der Bitkom im Rahmen des Digitaltag 2023 bekundeten die Deutschen zwar mehrheitlich die Bewertung von "Digitalisierung als Chance", vergaben für die eigene Digitalkompetenz aber nur ein "befriedigend". Wenn wir davon ausgehen, dass die künftigen Mitarbeitenden schon mit einer allenfalls mittelmäßigen Vorbildung in die Betriebe kommen, müssen wir als Institutionen Möglichkeiten zur Verbesserung schaffen.
Fit for the future
In einer Ableitung aus den relevanten Kompetenzfeldern in gesamtgesellschaftlichen Betrachtungen aus dem Digital-Index 2023/24 lassen sich mindestens fünf Handlungsfelder definieren, die auch für den Kulturbetrieb relevant sind:
- Informations- und Datenkompetenz: das Auffinden, Bewerten und Verwalten von Informationen und digitalen Inhalten
- Kommunikation und Kollaboration: Interaktion und Kollaboration mittels digitaler Technologien unter Anwendung angemessener Umgangsregeln
- Gestalten und Erzeugen digitaler Inhalte (mit Kenntnissen zum Urheberrecht)
- Sicherheit und Wohlbefinden: Schutz persönlicher Daten und der Privatsphäre, Schutz der mentalen Gesundheit und digitaler Umweltschutz
- Problemlösekompetenz im Digitalen: erkennen und Lösen technischer Probleme, kreativer Umgang mit digitaler Technik und erkennen digitaler Kompetenzen
Ganzheitliche Strategie für Digital Literacy
Um die Digital Literacy der Museumsmitarbeiter*innen zu verbessern und die Möglichkeiten der Digitalisierung auszuschöpfen, bedarf es einer ganzheitlichen Strategie, die mindestens auf die oben genannten Kompetenzfelder setzt. Diese wären in den Einrichtungen abteilungsspezifisch zu hinterfragen, mit Leben zu füllen und gegebenenfalls anwendungsspezifisch zu vertiefen. Der Prozess sollte dynamisch angelegt werden und auf der Basis von Standards operieren, die auf die unterschiedlichen Bereiche und Arbeitsumgebungen, aber auch auf die vorhandenen Kompetenzniveaus der Mitarbeiter*innen ausgerichtet sind.
Als Kompetenzen der Fortbildung sehe ich sicher die FAIR & CARE Prinzipien, CC-Lizenzen und Open-Access-Welten, die wachsenden Dimensionen von Künstlicher Intelligenz und Methoden des kollaborativen Arbeitens auf der Basis von Wikis, Whiteboards oder Chatclients. Vielleicht entwickelt sich auch das European Digital Competence Framework for Citizens (DigComp) aus dem Jahr 2022 zu einem nützlichen Referenzrahmen, um die digitalen Kompetenzen der Mitarbeiter*innen zu bewerten und gezielte Trainingsprogramme zu entwickeln. Auch der Digital Education Action Plan 2021-2027 weckt die Hoffnung auf eine auch politische Perspektive in der Förderung digitaler Kompetenzen im Bildungsbereich.
Vorbildlich sind sicher auch Initiativen, wie sie im skandinavischen Raum mit Angeboten wie dem Toolkit DigMus - Empowering museum professionals with digital skills bereits umgesetzt werden: "The project produced diverse outcomes, including a series of international webinars on digital communication, digital data, and digital maturity and literacy; a mapping report, and a toolkit for museum professionals. The outcomes aim to directly target museum professionals and indirectly contribute to smooth digital transformation in the museum sector in the Baltic and Nordic regions." Es ist deutliche Bewegung im Thema, aber auch noch ein weiter Weg. Er wird essenziell für die Zukunft der Museen sein und das Niveau definieren, auf dem sich die Kultureinrichtungen im deutschsprachigen Raum im internationalen Vergleich finden.